Keine Rolle rückwärts! Unser Standpunkt zum Arzneimittelmarkneuordnungsgesetz (AMNOG)

30. November 2010 - Ein neues Gesetz ist auf dem Weg. AMNOG heißt es, ausgeschrieben „Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz“. So lang und umständlich wie dieses Wort ist auch das Gesetz. Daher fällt es schwer, diesen erneuten Versuch der Bundesregierung, den deutschen Arzneimittelmarkt zukunftsfähig zu machen und vor allem die explodierenden Gesundheitskosten einzudämmen, für den Laien verständlich darzustellen. Doch gerade für Krebspatientinnen und –Patienten werden mit dem AMNOG wichtige Weichen gestellt.

Der Gesetzentwurf hat zunächst große Hoffnungen geweckt, denn ein Kernbestandteil ist, dass eine frühe Nutzenbewertung für alle neu zugelassenen Arzneimittel eingeführt werden soll. Diese frühe Nutzenbewertung ist sinnvoll, denn bei der Zulassung neuer Medikamente wird in Deutschland generell nur geprüft, ob ein Medikament wirkt, nicht ob es nutzt. Dabei spielen oft die für Patienten wesentlichen Aspekte keine oder eine untergeordnete Rolle. Bei onkologischen Wirkstoffen kann für die Zulassung daher beispielsweise sogar das Ansprechen des Tumors auf die Therapie ausreichen (Wirkung). Gefragt wird dabei nicht, welche spürbaren gesundheitlichen – d.h. patientenrelevanten – Vorteile (Nutzen) eine medizinische Maßnahme hat: Werden die krankheitsfreie Zeit oder das Leben verlängert? Treten weniger Nebenwirkungen und Komplikationen auf und besteht somit eine bessere Lebensqualität?

Sonderstatus für Orphan Drugs

Zwischenzeitlich gab es im Hinblick auf die frühe Nutzenbewertung einen Änderungsantrag der Regierungskoalition für das AMNOG, mit dem durchgesetzt werden sollte, dass Arzneimittel, die für seltene Leiden zugelassen sind, sogenannte Orphan Drugs, von der frühen Nutzenbewertung auszunehmen sind. Bereits jetzt haben die Orphan Drugs einen Sonderstatus bei der Zulassung, da die Industrie so angestoßen werden soll, auch für wirtschaftlich weniger interessante Indikationen Medikamente zu entwickeln. Das Unternehmen erhält zum Beispiel Patentschutz für zehn Jahre, ohne dass sich der Wirkstoff dem Nachweis eines Zusatznutzens gegenüber einer Vergleichstherapie stellen müsste, die Gebühren für die Zulassung werden erlassen und der Antrag wird beschleunigt bearbeitet.

Angesichts dieser attraktiven Zugeständnisse verfolgt die Pharmaindustrie seit Einführung der Sonderregelung für Orphan Drugs die Strategie, auch relativ häufige Krankheiten wie z.B. Darmkrebs, in kleine Untergruppen zu zerlegen, um dann für neu entwickelte, sehr hochpreisige Wirkstoffe den Sonderstatus beanspruchen zu können. Beispiele von Arzneimitteln, die in der Vergangenheit als „Orphan Drug“ gestartet sind und sich dann zu Verkaufsschlagern mit großen Umsatzpotenzialen für die Hersteller entwickelt haben, gibt es genug, wie Dr. Rainer Hess, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, dargelegt hat.

Schlupflöcher vorprogrammiert?

Die Herausnahme der Orphan Drugs aus der frühen Nutzenbewertung – wie es der Änderungsantrag vorsah - hätte das Interesse der Pharmaindustrie an dem „Schlupfloch Orphan Drugs“ noch deutlich verstärken. „Zuletzt wäre dann alles selten“, wie es in einem Artikel der Ärztezeitung zum Thema so treffend heißt. Die Folge: Medikamente könnten auf den Markt gelangen, bei denen nicht mehr in einem mehrstufigen Verfahren eine Nutzen/Risikoabwägung vorgenommen wird. Das wäre gegenüber der bisherigen Regelung eine Rolle rückwärts, denn 2004 ist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen extra für diese Aufgabe geschaffen worden.
Menschen, die von einer seltenen Krankheit betroffen sind, haben das verständliche Interesse, dass die Zulassungsverfahren für Orphan Drugs schnell und unbürokratisch ablaufen. Die FSH unterstützt dieses Interesse. Der Wunsch angesichts der Alternativlosigkeit, schnell und unproblematisch an eine möglicherweise heilversprechende Therapie zu gelangen, ist nachvollziehbar. Ein genereller Verzicht auf eine Nutzenbewertung bei Orphan Drugs würde Patienten mit seltenen Erkrankungen jedoch zu Patienten zweiter Klasse machen. Auch sie müssen Anspruch auf die gleiche Qualität und die gleichen Anforderungen an die Überprüfung des Nutzens von Medikamenten haben wie alle anderen. Das heißt, es muss gewährleistet sein, dass diese Arzneimittel für Patientinnen und Patienten einen nachgewiesenen Nutzen haben, der das Schadensrisiko überwiegt und die meist hohen Kosten rechtfertigt. Denn Geld, das für unnütze Medikamente ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle für sinnvolle Therapien.

Erfolgreiche Interessenvertretung

Neben vielen anderen Organisationen hatten im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes auch die im Haus der Krebs-Selbsthilfe organisierten Verbände ein gemeinsames Statement an den Gesundheitsausschuss geschickt, um ihre Bedenken gegen die neue Regelung zum Ausdruck zu bringen. Diese Warnung ist gehört worden. Der ursprüngliche Plan, Orphan Drugs komplett von der Verpflichtung zum Nutzennachweis zu entbinden, wurde fallengelassen. Nun ist vorgesehen, dass die Hersteller von Orphan Drugs einen Nutzenbeleg erbringen müssen, wenn sie mit dem Präparat mehr als 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr erwirtschaften. Damit wird der Sonderstatus von Orphan Drugs für die Pharmaindustrie zur Umgehung der Nutzenbewertung unattraktiv und zugleich bleibt der Anreiz erhalten, für wirklich seltene Erkrankungen Zulassungen zu erwirken.

Diese deutliche Verbesserung des Gesetzentwurfes im Sinne der Patientinnen und Patienten kann sich auch die Frauenselbsthilfe auf ihre Fahnen schreiben. Hier hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir dort Einfluss nehmen, wo Weichenstellungen für krebskranke Menschen vorgenommen, Versorgungskonzepte entwickelt und Kostenbudgetierungen festgelegt werden.

Bundesvorstand der Frauenselbsthilfe nach Krebs