Modellprojekt Migration FSH engagiert sich für Selbsthilfe über kulturelle Grenzen hinweg

Selbsthilfegruppen gelten heute als unverzichtbarer Teil unseres Gesundheitssystems. Sie werden als wertvolle Ergänzung zur ärztlichen Behandlung in der akuten Krankheitsphase und der Zeit der Nachsorge anerkannt. Allein in den Selbsthilfegruppen der FSH finden über 50.000 an Krebs Erkrankte und ihre Angehörigen psychosoziale Unterstützung.

In diesem Bereich hat sich die Gesundheitsversorgung in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren entscheidend weiter entwickelt. Migrantinnen und Migranten profitieren zurzeit allerdings noch selten von den Selbsthilfeangeboten, wie eine Untersuchung ergeben hat.

Im Jahr 2009 wurde ein Modellprojekt mit dem Titel „Gesundheitsselbsthilfe NRW und Migration“ vom Paritätischen Nordrhein- Westfalen (NRW), der AOK Rheinland/Hamburg und der AOK Westfalen-Lippe gestartet. Darin soll beispielhaft erprobt werden, wie Betroffenenerfahrungen und -kompetenzen deutscher Krebs-Selbsthilfeorganisationen für türkischsprachige Mitbürgerinnen und Mitbürger zur Bewältigung einer eigenen Krebserkrankung nutzbar gemacht werden können.

Im Mai 2009 wurde ich von der Projektleiterin, Rita Januschewski (Mitarbeiterin beim Paritätischen), gefragt, ob ich Lust hätte, das Projekt zu begleiten. Mein Interesse an einer Mitarbeit war angesichts des sehr wichtigen Themas schnell geweckt. Wenn es schon uns „Eingeborenen“ schwer fällt, sich im deutschen Gesundheitswesen zu recht zu finden, wie geht es dann erst jemandem, der womöglich über mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt und aus einem anderen Kulturkreis kommt? Wie allein gelassen fühlen sich wohl türkische Migrantinnen und Migranten mit der Diagnose Krebs?

Konzeptentwicklung
Nach Absprache mit dem Landesverband war ich bei dem Projekt dabei und zwar als Mitglied der sogenannten „Fachlichen Begleitgruppe“. Zu dieser Gruppe gehören neben mir und Rita Januschewski auch Umut Ezel (Projektkoordinatorin) sowie je ein Mitglied der Deutschen ILCO NRW und der Kehlkopfoperierten NRW. Wir treffen uns seitdem regelmäßig, um ein Konzept zu entwickeln, wie die Selbsthilfe auch für türkischsprachige Krebsbetroffene geöffnet werden kann.

Diskutiert wird unter anderem, wie diese Betroffenengruppe bei der Krankheitsbewältigung unterstützt und eine Kooperation zwischen ihnen und deutschen Krebsbetroffenen im Rahmen der gesundheitlichen Selbsthilfestrukturen in NRW aufgebaut werden kann. Außerdem geht es auch darum, die Landesverbände der Krebs-Selbsthilfeorganisationen für die Situation der türkischsprachigen Krebsbetroffenen und ihrer Familien zu sensibilisieren. Gesundheitsversorgung, da sind wir uns in der Fachlichen Begleitgruppe einig, muss für alle Menschen gleich sein und über Kulturgrenzen hinweg bestehen. Migrantinnen und Migranten kennen und nutzen die Unterstützung durch Selbsthilfegruppen noch viel zu selten. Das Verständnis, dass es diese Möglichkeit gibt, muss daher stärker in die türkische Gemeinde getragen werden.

Spannende Fachgruppenarbeit
Die Arbeit in der Fachgruppe ist sehr spannend. Wir haben zum Beispiel zu Beginn des Projekts ein Seminar der Volkshochschule mit dem Thema „Zum Umgang mit muslimischen Patienten“ besucht.

Außerdem wurden wir zu einer interkulturellen Fachtagung in Gelsenkirchen eingeladen und ich war begeistert, wie gut ich mit einem türkischen Teilnehmer bei einer Tasse türkischem Tee diskutieren konnte.

Ein zentraler Punkt der Fachgruppenarbeit für das Jahr 2010 bestand in der Vorbereitung einer großen, landesweiten Fachtagung. Diese sollte dazu dienen, Informationen zum Modellprojekt bereit zu stellen, bei Migranten bestehende Ängste vor der ersten Kontaktaufnahme mit Selbsthilfegruppen zu beseitigen und einen Ort für interkulturelle Begegnungen zu bieten. Unter anderem erarbeiteten wir dafür eine Präsentation des Projektes „Gesundheitsselbsthilfe NRW und Migration“.

Als Ort des Dialogs für die Fachtagung wurde die Merkez-Moschee im Duisburger Stadtteil Marxloh ausgewählt, die eine interreligiöse Bildungs- und Begegnungsstätte ist und den offenen Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen sucht. Als Moderatorin konnte die bekannte WDR-Journalistin Asli Sevindim gewonnen werden. Die in Duisburg- Marxloh geborene und aufgewachsene Deutsch-Türkin war von der Wichtigkeit der Veranstaltung sofort überzeugt.

Interkultureller Austausch
Die Tagung, die im April 2010 stattgefunden hat, war ein großer Erfolg. Rund 150 türkischsprachige Migranten, deutsche Mitbürger, Krebspatienten, Ärzte sowie Ehrenamtler aus dem Bereich der Gesundheitsselbsthilfe nahmen teil - und natürlich Mitglieder der FSH aus der Gruppen-, Landes,- und Bundesebene. Sie wirkten auch bei der Programmgestaltung mit und waren mit einem Informationsstand vertreten.

Unter anderem wurde als ein sehr gutes Beispiel für den gelungenen, interkulturellen Austausch und die Selbsthilfearbeit für Migranten der von Aynur Çelikdöven gegründete Selbsthilfeverein für krebskranke Kinder und Menschen in Deutschland „Weg der Hoffnung NRW e.V.“ vorgestellt. 2001 in Oberhausen von türkischen Eltern ins Leben gerufen, möchte dieser Verein in erster Linie eine seelische Unterstützung der krebskranken Kinder und von deren Angehörige liefern.

„Weg der Hoffnung“ ist in Nordrhein-Westfalen der erste von und für Migranten gegründete, überregionale Selbsthilfeverein und in dieser Form bis jetzt einzigartig.

Betroffenenberichte der verschieden Selbsthilfeorganisationen – für die FSH sprach Christa Kalk – sowie ein kleines deutsch-türkisches Theaterstück waren mit im Programm. In der Pause wurden rege Gespräche geführt. Um die Veranstaltung abzurunden, gab es für Interessierte noch eine Moschee-Besichtigung.

Die Arbeit in der Fachlichen Begleitgruppe ist damit noch lange nicht zu Ende. Zurzeit suchen wir türkischstämmige Menschen aus dem Bereich Migration und Gesundheit, die unsere Begleitgruppe verstärken, damit nicht nur die deutsche Sichtweise eingebracht wird.

Petra Kunz
Vorsitzende des Landesverbandes NRW