Leben mit dem Tod?!

„Leben mit dem Tod“ – so lautete der Titel einer Themenwoche, die kürzlich von der ARD ausgestrahlt wurde. Eine Woche lang stand das Thema, das jeden von uns angeht und das trotzdem häufig verdrängt wird, im Mittelpunkt des Programms. Ausgewählt als Sendetermin hatten die Programm-Macher den November - einen Monat mit wenig Tageslicht, langer Dunkelheit und Tagen für Totengedenken und Trauern.

Auch in der Frauenselbsthilfe nach Krebs wenden sich viele Gruppen im November dem Thema Tod und Sterben zu und gestalten ihre Treffen in besonderer Weise. Manche Gruppen richten einen Nachmittag oder Abend aus in besonderem Gedenken an alle, die während des Jahres verstorben sind. Manche feiern und gestalten einen gemeinsamen Gottesdienst zum Gedenken. Andere wenden sich mit Hilfe eines Experten dem Thema Tod und Sterben zu. In manchen Gruppen will weder das eine noch das andere gelingen. Manchmal hilft es, statt der Begriffe „Tod und Sterben“ lieber die Worte „Abschied und Trauer“ zu wählen. Abschiede gibt es schließlich viele und unterschiedlichster Art in jedem Leben. Sie wollen alle auf ihre Art bewältigt werden.

Das endgültige Abschiednehmen von liebgewordenen Menschen ist eine besondere Herausforderung, die viele Menschen fürchten. Und noch mehr fürchten sie sich vor dem eigenen Tod. Und diese Furcht ist es, die von vielen krebskranken Menschen als Grund dafür benannt wird, dass sie den Besuch einer Selbsthilfegruppe eher meiden. Sie möchten nicht immer wieder von Erkrankung, immer wieder von Rückfällen und Neuerkrankungen hören. Sie möchten nicht immer wieder Loslassen, immer wieder Lücken schließen müssen; Lücken, die durch den Tod derjenigen Gruppenteilnehmer entstehen, für die es keine Heilung und keinen Aufschub mehr gab. Und sie möchten nicht immer wieder an die eigene Endlichkeit erinnert werden. Dieses „immer wieder“, sich Wiederholende wird gefürchtet. Es wird vor allen Dingen von Menschen gefürchtet, die sich mit dem eigenen Tod noch nicht befasst haben.

Wir alle wissen, dass wir sterben müssen. Wir alle leben im Angesicht des Todes. Dennoch herrscht der Gedanke vor, die Beschäftigung mit Tod und Sterben habe Zeit. Diese Auseinandersetzung sei für alte Menschen angebracht. Ein ungutes Gefühl aber bleibt, eine Angst, die wir nicht zulassen wollen, ein dunkler Raum, in den wir nicht einzutreten wagen, der aber im Unterbewusstsein immer vorhanden ist. Bis vielleicht ein plötzliches, unerwartetes Ereignis uns herausfordert, in den dunklen Raum hineinzublicken und ihn zu betreten.

Die Diagnose Krebs ist in den meisten Fällen ein solches Ereignis. Mit der Diagnose steht plötzlich der Tod mit im Raum. Er macht die Kostbarkeit des Lebens schmerzlich bewusst. Die Gedanken kreisen darum, ob die unberechenbare Krankheit das eigene Leben frühzeitig beenden wird. Eine Grenzsituation im Leben, die Angst und Verzweiflung auslöst, die uns der Normalität und der Sicherheit des Alltags beraubt.

Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen mitten in uns.

Diese Verse von Rainer Maria Rilke bringen zum Ausdruck, dass der Tod nicht nur im fortgeschrittenen Alter bedacht sein will. Er kann plötzlich in der vermeintlichen Mitte des Lebens drohen und seine Aufmerksamkeit fordern.

Gerade krebskranke Menschen, die diesen Ausnahmezustand erlebt haben, die wissen, dass die Verdrängung von Ängsten sehr viel Kraft kostet, können andere ermutigen, den eigenen Weg zu Ende zu denken. Hinzuschauen in den dunklen Raum, Gedanken auszuhalten, Visionen und Vorstellungen Raum zu geben und der Bedrohlichkeit ihren Stachel zunehmen.

Das Gefühl, alles bedacht zu haben, zu wissen, was einem selbst wichtig ist und welche Wertvorstellungen man für die letzte Lebensphase hat, kann ein beruhigender Gedanke sein. Dazu gehört zum Beispiel das Abfassen einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht. In der Regel geht diesem Akt eine Zeit der Bewusstmachung und Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen und Wünschen voraus. Sie kann eine große Entlastung und ein Stück Freiheit für die Zukunft bedeuten. Diese Erfahrung ist nicht nur allen krebskranken Menschen zu wünschen.

Eine Selbsthilfegruppe, die schwierigen Themen nicht ausweicht und das Thema „Leben mit dem Tod“ in ihren Gesprächen nicht ausklammert, ist eine starke Gruppe. Sie lässt eine Nähe zu, die nicht selbstverständlich ist. Sie lebt eine Offenheit, die nicht oberflächlich ist und nur aus gegenseitigem Vertrauen wachsen kann. Und sie vermittelt eine Sicherheit, die eine starke Verbindung untereinander fördert. Sie macht Hilfe zur Selbsthilfe möglich, gerade in den existenziellen Fragen des Lebens. Sie zeigt, wie angesichts des Todes ein Leben im Hier und Jetzt geführt werden kann. „Jeder Augenblick im Leben ist ein Schritt zum Tode hin“ sagt Pierre Corneille. Jeder Augenblick ist unwiederbringlich und will gefüllt sein mit Leben. Wer den Tod verdrängt, verpasst das Leben.

Bundesvorstand der Frauenselbsthilfe nach Krebs

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