Mutmachgeschichten

Manchmal sind es die kleinen Geschichten, Gedanken, Anekdoten, Begegnungen und Erkenntnisse, die an einem schlechten Tag wieder Mut machen können.

Ich habe nach der Diagnose meine Freunde und Verwandten, aber auch Kollegen gebeten, mir ihr persönliches Mutmachlied zu nennen, damit ich mir eine Playlist zusammenstellen konnte. Ich war berührt und überwältigt über die Vielzahl der Rückmeldungen. Ich hatte die Lieder immer dabei – bei der Chemo, beim mühsamen Spazieren gehen, beim Ruhen auf der Terrasse. Und natürlich ist auch eines der Lieder meine ganze persönliche Mutmach-Hymne geworden.

Meine fünf Bausteine, die mich durch meine schwere Zeit begleitet haben, sind:

Glaube: Verliere niemals den Glauben an dich selbst und an deine Kraft. Du bist stark!

Liebe: Ich liebe mein Leben, trotz all meiner Narben. Ich bin wunderschön. Meine Augen haben nie aufgehört zu strahlen.

Hoffnung: Ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, das alles zu überstehen.

Freundschaft: Meine Freunde, die mich begleiten, auch in meinen dunkelsten Stunden.

Familie: Meine Familie, die mich auffängt und mich bedingungslos liebt und unterstützt.

Was ich durch meine Krankheit gelernt und mitgenommen habe ist, dass das Leben lebenswert und ein Geschenk ist. Ich bin in vielen Dingen gelassener geworden und denke dann immer: es gibt Schlimmeres und das habe ich überstanden. Genieße das Leben, es ist so kostbar.  Mach was daraus!

Einen schönen Moment hatte ich beim Aufwachen aus der Narkose nach der ersten Brustoperation. Eine Krankenpflegerin kam an mein Bett und legte mir behutsam ein Herzkissen unter den Arm an der gerade operierten Seite und sagte: „Dieses Kissen ist von der Frauenselbsthilfe. Es soll Ihnen bei der Genesung helfen und Sie können es behalten.“ Noch angeschlagen von der Narkose habe ich mich in dieser schwierigen Situation über diese Geste und das Kissen sehr gefreut. Dieses Kissen ist für mich zum Symbol für meine Heilung geworden. Bei jedem weiteren Krankenhausaufenthalt und in der Reha war es dabei. Ein großes Dankeschön an die Frauen, die diese Kissen für uns Krebspatienten nähen und uns so in dieser schweren Zeit einen Glücksmoment bescheren.

Ich bin nach meiner Therapie viel auf Patientenkongresse etc. gegangen. Auf einer dieser Veranstaltungen ist mir mal ein Chemo-Tagebuch in die Hände gefallen, mit Geschichten, Gedichten u.s.w., aber auch mit leeren Seiten zum Selbstausfüllen. Und auf einer dieser Seiten stand dieses Gedicht, dass von einer Betroffenen selbst geschrieben wurde:

Ein Stück Weg

Ein grauer Stein im Weg, na und?
Die Welt ist bunt!
Und ich hab doch noch so viele Farben.

Ein harter Stein im Weg, na und?
Nur meine Hände sind wund!
Und ich hab doch noch so viele starke Glieder.

Ein großer Stein im Weg, na und?
Größer ist der Höllenschlund!
Und ich hab doch noch so viele kleine Wege dran vorbei.

Ein kantiger Stein im Weg, na und?
Wasser schleift doch alles rund!
Und ich hab doch noch so viele Tränen.

Ein Stein im Weg.
Ich verstehe!
Genug gefragt!

Ich heb ihn auf und gehe.

Ein Stück Weg mit ihm.

Das zu lesen war damals für mich ein Aha-Moment. Bis dahin habe ich immer gegen den Krebs gekämpft, ihn als Feind gesehen. Ab diesem Augenblick habe ich ihn ein stückweit angenommen und akzeptieren können, dass er für eine Weile mein Begleiter ist, ein Teil von mir. Aber eben ein Teil, den man irgendwann wieder ablegen kann.

Mein Mutmacher ist unsere Selbsthilfegruppe, die wir in Eigenregie für junge Frauen mit Familie gegründet haben. Ich kann alle Betroffenen nur dazu ermuntern, sich auf den Weg zu machen und eine gute Gruppe zu finden oder selbst zu organisieren. Der größte Mutmacher sind außerdem unsere KINDER!!!

Im Oktober 2014 habe ich die Diagnose Brustkrebs erhalten. Für mich brach eine (meine) „heile“ Welt zusammen. Aber was erzähle ich da, denn dieses Gefühl kennt jeder, der die Diagnose Krebs von heute auf morgen erfährt. Nach kurzer Überlegung, wie ich das so alles schaffen soll, war mir schnell klar, dass ich einen Begleiter benötige. Ich fuhr in die Stadt und kaufte mir eine Waldorfpuppe mit roten Haaren und blauen Augen. Ich selbst habe seit Jahren lange, rote Haare und blaue Augen. Mein Mann fand das ziemlich kindisch, doch das war mir ganz egal. Mein Sohn, im Alter von 11 Jahren, hat mich sehr aufgemuntert und stand zu mir.

Die Puppe nannte ich Florine. Sie saß neben mir auf dem Sofa, lag im Krankenhaus (leider war ich dort drei Mal) neben mir im Bett und kam zu jeder Chemotherapie mit. Dort hatte sie bereits ihren eigenen Platz auf dem Regal und alle, die in meinem Zimmer waren, fanden das sehr gut und freuten sich über mich und meine Begleitung. Meine Florine gab mir das Gefühl von Geborgenheit, nicht allein zu sein und sie wachte über mich.

Nach einem Jahr harter Therapie (Chemo und Bestrahlung) kann ich sagen, dass mir meine Mutmacherpuppe sehr geholfen hat. Gern schau ich Florine an und nehme sie in den Arm, um einfach DANKE zu sagen.
Nun sitzt sie in meinem Bett und wacht dort jede Nacht über mich.

Meine Chemo begann eine Woche vor Weihnachten. Den ersten Tag über war mir sehr übel, doch schon am zweiten Tag konnte ich wieder essen und dachte, dass das Schlimmste überstanden sei. Aber dann kam die große Kraftlosigkeit, und die wollte so schnell nicht wieder weichen.

Den Weihnachtsnachmittag verbringen wir, seit ich Kind bin, bei meiner Oma. Die ganze Familie sitzt zusammen, isst ihre selbstgebackenen Kekse und singt Weihnachtslieder. Am schönsten war für mich aber immer Omas Weihnachtsengel aus Wachs, mit einem Kleid aus Samt und zarten Goldflügeln. Wunderschön und einzigartig! Sie hatte ihn vor langer Zeit geschenkt bekommen und wir mussten immer sehr aufpassen, diese filigrane Figur nicht kaputt zu machen.

An meinem ersten Krebs-Weihnachten hatte ich jedoch nicht die Kraft, mit im Wohnzimmer zu sitzen und zu singen. Ich lag nebenan im Dunkeln und hörte den anderen traurig zu. Selbst diese kleine Freude hatte der Krebs mir genommen.

Da kam meine Oma, den  Weihnachtsengel in der Hand, und überreichte ihn mir mit den Worten: „Ich glaube, den brauchst DU jetzt mehr als ich!“. Ich war zutiefst gerührt. Und bin es immer noch, wenn ich den Engel jedes Jahr zu Weihnachten aus seinem Schönheitsschlaf wecke, um ihn zu bewundern.

Was für ein wunderbares Geschenk, immer einen mitfühlenden und stärkenden Engel an seiner Seite zu wissen – auch wenn nicht Weihnachten ist.

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