Mit der Diagnose Krebs gerät die Welt aus den Fugen. Ist es doch kaum möglich, die eigene Gedankenflut zu ordnen, so erscheint es nahezu unmöglich, den eigenen Kindern von der Erkrankung zu berichten. Ein erster Gedanke kann sein, ihnen zunächst nichts davon zu erzählen, deren „heile Welt“ zu erhalten und vielleicht so auch ein Stück weit die eigene Sicht darauf. Was nicht ausgesprochen wird, scheint weniger präsent. Doch werden Kinder tatsächlich dadurch geschützt, dass man ihnen die Wahrheit verschweigt?
Auch wenn man es dem egozentrischen Kleinkind oder dem mies gelaunten Teenager nicht anmerken mag, so spüren sie doch, dass etwas in der Familie nicht stimmt. Meist äußern Kinder sich dazu nicht direkt, da, je nach Alter, das reflektierende Denken noch nicht da ist oder es noch an Einfühlungsvermögen fehlt. Viel mehr beginnen Kinder im erwachsenen Gegenüber und seinem Verhalten zu „lesen“. Fragen kommen auf, ohne dass sie gestellt werden: „Warum geht es Mama schlecht, aber sie sagt, alles sei gut?“ „Warum hat Papa geweint?“ „Weswegen muss Mama ins Krankenhaus?“ „Wird sie jetzt sterben?“ „Bin ich schuld?“ „Was ist so schlimm, dass ich es nicht wissen darf?“ …
Es ist eine grausame Aufgabe, Kindern von einer Krebsdiagnose in der Familie zu erzählen: Welche sind die richtigen Worte? Wie viel müssen Kinder wissen? Wie kann es kindgerecht vermittelt werden? Häufig haben Kinder schon diffuse Informationen zum Thema „Krebs“, z.B. weil nahe Verwandte oder Bekannte an Krebs erkrankt oder gar verstorben sind oder auch über Warnungen wie „Iss keine verbrannte Wurst, mal dich nicht mit Filzstift an, davon kann man Krebs kriegen!“. Auch Kinder untereinander sprechen über diese Themen und konstruieren dabei manchmal Zusammenhänge, die so womöglich nicht stimmen, ihnen aber Angst machen. Dieses Halbwissen und die daraus resultierenden Ängste zu ordnen, ist eine schwierige, überaus wichtige Aufgabe und es ist die Aufgabe des Erwachsenen. Nicht immer fühlt man sich als Betroffene/r dazu in der Lage. Es ist durchaus eine Möglichkeit, Kindern zu erklären, dass man im Augenblick selbst nicht über das Thema Krebs reden kann, weil man selbst noch Zeit braucht, die eigenen Gedanken zu ordnen. Es sollte aber klargestellt werden, dass das nicht die Schuld des Kindes ist. Ebenso kann es eine gute Lösung sein, wenn eine Vertrauensperson bei dem Gespräch dabei ist oder dieses sogar führt. Gesprächsanlass können auch Bilderbücher oder Apps zum Thema sein. Bekommen Kinder keine Antworten auf ihre Fragen, füllen sie die Lücken zuweilen mit der eigenen Fantasie, die viel schlimmer und verstörender sein kann, als die Wahrheit. Das Kind ist gefangen in einem Empfinden, dass etwas passiert ist, das so schlimm ist, dass man nicht einmal darüber reden darf. Es entsteht eine Situation, die ein Nährboden für Schuldgefühle und Ängste werden kann, aus denen wiederum psychische Auffälligkeiten beim Kind entstehen können. Eine, dem Alter angemessene Kommunikation, die viel Offenheit in der Familie verlangt, bietet dem Kind die Chance, die Veränderungen in der Familie einzuordnen, anzunehmen und auch zu verarbeiten. Auch sollte geklärt werden, dass Krebs nicht ansteckend ist und niemand an der Krankheit schuld ist.
Durch diese Offenheit bleibt man dem Kind als Vertrauensperson erhalten. Es bleibt ein Stück Sicherheit, die den Schock, die Trauer und die Verzweiflung tragen kann und eine Perspektive in die Zukunft öffnet. Ebenso bleibt dem Kind die Hoheit darüber, Bemerkungen Anderer besser einschätzen zu können, wenn z.B. Sätze wie „Mit Krebs stirbt man“ fallen. Ein Kind, das altersgemäß über die Erkrankung aufgeklärt ist, hat die Möglichkeit, mit seinem Wissen derartige Aussagen deuten zu können: „Ja, Krebs ist eine schwere Krankheit, aber meine Mama bekommt die beste Behandlung, die es gibt und viele Forscher arbeiten daran, dass der Krebs geheilt werden kann.“
Sehr wohltuend kann es sein, wenn es gelingt, dass die Kinder ihr Leben und ihren Alltag weitgehend so weiterleben dürfen, wie bisher: dass z.B. Freunde zu Besuch kommen dürfen, sie weiter in den Fußballverein dürfen, dass gelacht und geweint werden darf, dass man wütend sein darf und dass man Spaß haben darf. All dies bietet nicht nur den Kindern Stabilität, sondern kann auch für die Krebspatientin eine Kraftquelle sein. Dabei bleibt es wichtig, achtsam mit sich und den eigenen Ressourcen umzugehen. Gerade während der Therapiezeit darf man sich eingestehen, wenn es der eigene Gesundheitszustand einmal nicht erlaubt, alle Familienaktivitäten mitzumachen. Nicht immer wird das Kind dafür Verständnis haben. Doch wenn man es schafft, die Enttäuschung oder gar Wut der Kleinen über den vereitelten Freizeitspaß zu ertragen oder gar aufzufangen, dann bleibt man für das Kind authentisch und stärkt den Nachwuchs dadurch.
Während der Therapie gibt es bei gesetzlich Krankenversicherten die Möglichkeit, eine Haushaltshilfe zu erhalten. Informationen dazu erteilt der Sozialdienst der Klinik.
Die Sorge um das Elternteil nehmen Kinder manchmal auch mit in den Schul-/Kindergartenalltag. Somit ist es von großer Bedeutung, dass Erzieher und Lehrer der Kinder von der Situation zu Hause wissen, um bei Veränderungen im Verhalten des Kindes besser eingreifen zu können, bzw. die Eltern zu informieren. Dieser Schritt verlangt viel Offenheit und auch ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen Elternhaus und Institution. Zum Wohlergehen des Kindes sollte diese Erziehungspartnerschaft aber gewagt werden. Es kann einerseits sehr wohltuend sein, wenn man als Eltern die Rückmeldung bekommt, dass das Kind „wie immer“ erscheint, also stabil geblieben ist. Andererseits können bei funktionierendem Informationsfluss Auffälligkeiten schneller erkannt und aufgefangen werden, z.B. auch mit professioneller Unterstützung.
Zu beachten ist, dass Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern nicht nur unmittelbar zur Zeit der Diagnosestellung und der Therapie auftreten können, sondern auch noch lange Zeit danach, wenn man den Zusammenhang zur eigenen Erkrankung selbst gar nicht mehr herstellen kann. Umso wertvoller ist es dann, wenn man mit Erziehungspartnern wie Lehrern und Erziehern zusammen überlegen kann, wie das Kind am besten unterstützt werden kann.
Die Perspektive in die Zukunft haben unsere Kinder und vieles an Unwägbarkeiten können wir als Eltern auffangen. Doch bringt uns gerade die Diagnose Krebs auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit näher. Sie bringt Situationen mit sich, die sprachlos und hilflos machen. Hierbei kann es hilfreich sein, sich beizeiten Unterstützung von Profis zu holen. Die besten Ansprechpartner sind zum Beispiel Krebsberatungsstellen, Psychoonkologen, aber auch Hospizdienste, psychologische Beratungsstellen oder der eigene Arzt bzw. Kinderarzt.
Nicht zuletzt kann auch der Austausch mit anderen Betroffenen sehr wertvoll und unterstützend sein für die eigene Sicht auf sich und die Familie.
Autorin: Sandra Oser – Pädagogin, dreifache Mutter, Betroffene
Einige Beispiele für die Kommunikation mit kleineren Kindern: