Der Krebs macht nicht nur uns selbst zu schaffen, auch Ehe oder Partnerschaft leiden oft unter der neuen Situation. Unsere Partner bzw. Partnerinnen kämpfen mit dem Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit. Umso wichtiger ist eine gegenseitige Offenheit anstelle von Rückzug und Isolation. Wer die Krankheit aber als Paar gemeinsam durchsteht, den kann meist so schnell nichts mehr auseinanderbringen.
In dieser Rubrik möchten wir gerne den Lebensgefährten Tipps mit auf den Weg geben zu Wünschen, die wir als Betroffene vielleicht oft haben, aber selten so direkt aussprechen. Denn in der Hauptsache sind wir nur dankbar, in so einer schweren Zeit jemanden zu haben, der uns zur Seite steht und unsere Hand hält. Außerdem findet Ihr eine Liste von ausgewählten Broschüren, die sich mit den körperlichen und seelischen Auswirkungen von Krebs auf das Liebesleben auseinandersetzen.
"Sie haben Krebs. Brustkrebs!" Mit diesen vier Wörtern gerät eine ganze Welt aus den Fugen und es bricht eine Unmenge an Fragen auf: Warum gerade ich? Wie kann das sein? Ist die Erkrankung heilbar? Werde ich daran sterben? Was ist zurzeit die beste Behandlung, die es für mich gibt? Wo bekomme ich sie? Halte ich die Strapazen der Behandlungen aus? Wie soll es nun weitergehen mit mir und meiner ganzen Familie? Wie sieht mein Körper nach der Operation aus? Was mache ich, wenn meine Brust abgenommen werden muss? Wird mein Partner mich dann weiterhin lieben? Bin ich als Frau dann noch begehrenswert?
Die letzte Frage „Bin ich als Frau dann noch begehrenswert?“ spiegelt eine tiefe Verunsicherung mit Blick auf die eigene Weiblichkeit und auf die eigene Sexualität wieder. Die in dieser Frage aufscheinende Problematik betrifft nicht nur die erkrankte Frau, sondern auch deren Partner. Es geht um ein Thema, das beide betrifft, jeden einzeln und beide gemeinsam in der weiteren Gestaltung ihrer Beziehung. Sexualität scheint ein Thema zu sein, das auf der einen Seite zwar öffentlich sehr präsent ist, das in der persönlichen Beziehung jedoch vielfach schamvoll umgangen wird. Selbst in langjährigen Partnerschaften erweist sich Sexualität häufig als ein intimes Thema, über das nicht leicht gesprochen wird. Mit Auftreten der Erkrankung Brustkrebs scheint es erst recht zu einem Tabu-Thema zu werden, das im Rahmen der Behandlung nur selten Raum bekommt und auch in Selbsthilfegruppen nur zögerlich angesprochen wird.
Der folgende Artikel beruht auf einer Vielzahl von Gedanken und Aussagen an Krebs erkrankter Frauen sowie von deren Partnern, wie wir sie aus Gesprächen sowohl im Selbsthilfealltag als auch in der psychotherapeutischen Praxis kennengelernt haben. Wir haben sowohl die weiblichen als auch männlichen Gedanken zum Thema Sexualität in die fiktiven Tagebucheintragungen zweier „Betroffener“ – einer Frau mit Brustkrebs und ihrem Partner – einfließen lassen. Die Eintragungen erstrecken sich über einen Zeitraum von ca. einem Jahr und werden nur auszugsweise wiedergegegeben. Auf diese Weise wollen wir einerseits die „Behandler“ dafür sensibilisieren, dass Patientinnen sowohl Raum als auch die Erlaubnis für ihre Gedanken und Fragen zum Thema Sexualität benötigen. Andererseits wollen wir den betroffenen Frauen sowie ihren Partnern (oder potentiellen Partnern) aufzeigen, welch unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungsmuster in jeder/jedem vorhanden sein können.
Manche Leserinnen werden sich in einigen oder vielen Gedanken wiederfinden, andere wiederum werden es vielleicht, anders als in den Tagebuchauszügen beschrieben, erlebt haben. Aber vielleicht kann der Artikel alle Beteiligten dazu ermutigen, das Thema Sexualität und damit einhergehende Verunsicherungen – sowohl im Behandlungsalltag als auch in den Partnerschaften – offener zu kommunizieren.
Wir haben uns in diesem Artikel dafür entschieden eine Frau, die an Brustkrebs erkrankt ist, zu Wort kommen zu lassen, wohl wissend, dass auch viele andere Krebserkrankungen das Thema Sexualität in ähnlicher Weise berühren können.
Die Einträge mit grünem Datum sind von der erkrankten Frau, die mit dem schwarzen Datum von ihrem Mann.
„Ich habe Krebs. Das klingt so schrecklich. Ich mag es gar nicht aussprechen. Es passt irgendwie nicht zusammen. Ich und Krebs. Heute Abend habe ich im Badezimmer lange vor dem Spiegel gestanden und meine Brüste angeschaut. Nur noch wenige Tage, dann ist nur noch eine da. Ich weiß, es ist albern, es geht doch nur darum, dass ich überlebe. Aber ich habe Angst. Auch Angst, dass er mich nicht mehr attraktiv finden wird. Wenn ich ihn danach frage, habe ich das Gefühl er will mich nur beruhigen.“
31. Juli
„Ich habe es nicht glauben wollen, kann es immer noch nicht glauben. Gestern kam sie mit der Diagnose heim. Es ist Krebs. Brustkrebs. Ich habe Angst. Angst, dass sie sterben könnte. Allein diesen Gedanken schon verbiete ich mir. Ihr gegenüber bin ich zuversichtlich. Sage ‚Es wird. Du wirst das schaffen. Wir werden das schaffen.‘ Aber werden wir das wirklich? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass schwere Zeiten auf uns zukommen.“
„Mein erster Tag zuhause. Ich fühle mich so fremd. Als der Verband das erste Mal abgenommen
wurde, habe ich geheult. Erst als ich die blauroten Verfärbungen mit der Narbe und den vielen Stichen sah, wurde es so richtig wirklich. Ich habe Krebs und meine Brust ist weg. Nie wieder wird sie gestreichelt werden.“
5. August
„Morgen ist die Operation. Die Brust wird ihr abgenommen. Sie fragt mich, ob sie wohl nachher noch als Frau attraktiv für mich ist. Ich habe ihr gesagt, dass ich keine Probleme damit haben würde. Aber weiß ich das wirklich?“
„Die Narbe verheilt und sieht auch nicht mehr so schlimm aus. Hätte ich mich vielleicht doch für einen sofortigen Wiederaufbau entscheiden sollen? Ich habe solche Sehnsucht nach Zärtlichkeit, würde so gerne einfach nur in seinen Armen liegen, habe aber Angst, dass er mehr will, mit mir schlafen will, und das kann ich nicht … noch nicht. Ich fühle mich so beschädigt.“
30. August
„Alles ist gut verlaufen, sagen die Ärzte. Ich bin unsicher. Alles ist anders. Irgendwie machen wir einen Bogen um einander. Sie schließt die Tür zum Badezimmer. Das haben wir früher nie getan. Die Tür war immer offen. Es ist, als wenn sie mich fernhalten wollte, nicht will, dass ich sie sehe. Ich muss das wohl akzep tieren. Aber eigentlich will ich bei ihr sein. Auch in diesen Momenten.“
„Erster Advent. Wie habe ich diese Zeit früher geliebt. Jetzt ist es mir egal. Wie so vieles. Ich will das alles einfach hinter mich bringen. Die Chemo macht mich fertig. Er will mir helfen, das spüre ich. Und gleichzeitig rennt er immer wieder weg. Lässt mich allein. Ich fühle mich im Stich gelassen. Weiß noch nicht mal, wovor er weg läuft. Vor mir, vor meiner Traurigkeit oder vor der Tatsache, dass ich nicht mehr „die Alte“ bin.“
25. November
„Die Chemotherapie nimmt sie furchtbar mit. Sie hat ihre Haare verloren. Ich würde ihr gern beistehen, es ihr irgendwie leichter machen. Diese Hilflosigkeit halte ich manchmal kaum aus. Dann muss ich raus, weg. Gleichzeitig fühle ich eine solche Zärtlichkeit zu ihr, sie rührt mich so. Ich will sie halten, trösten, streicheln. Ihr sagen, dass alles wieder gut wird. Ich liebe sie so. Das waren früher die Momente, in denen ich mit ihr schlafen wollte. Jetzt komme ich mir mit diesem Wunsch unmöglich vor, verberge ihn vor mir, vor ihr.“
„Gestern hat er mich hier in der Reha besucht. Es war schön und gleichzeitig komisch. Ich habe mich auf ihn gefreut und war doch wieder froh, als er fuhr. Ich bin so durcheinander. Wir gehen hier jeden Abend weg. Es ist viel Leichtigkeit in mir, einfach so. Ich brauche mir gar keine Mühe zu geben. Beim Tanzen weiß keiner, wie es unter meinem Kleid aussieht. Ich fühle mich sexy. Das tut gut.“
4. April
„Sie ist in der Reha. Wir telefonieren viel. Am Wochenende habe ich sie besucht. Sie sagt, wie gut ihr die Reha tut. Einerseits freut mich das, andererseits kränkt es mich irgendwie. Es scheint ihr dort besser zu gehen als hier zuhause. Als wenn sie froh wäre, von mir weg zu sein. Ich spüre so eine Distanz zwischen uns. Ich stürze mich in die Arbeit. Bin froh, dass so viel zu tun ist in der Firma.“
„Seit zwei Wochen arbeite ich wieder. Es ist anstrengend und eigentlich bin ich immer müde. Auch abends bin ich fix und fertig. Irgendwie läuft es nicht gut zwischen uns. Ich habe Angst es anzusprechen, habe Angst, dass ich ihm nicht verständlich machen kann, was ich fühle. Es ist, als wäre ein Graben zwischen uns. Im Alltäglichen verstehen wir uns gut, aber manchmal scheint es, als wären wir alte Freunde. Wo ist mein Mann, wo ist mein Geliebter geblieben? Ich fühle mich so unsicher. Will mit ihm schlafen, weiß aber nicht, ob er mich so, wie ich jetzt bin, noch begehrt. Es ist alles so anders geworden.“
15. Mai
„Im Grunde ist alles wie früher. Sie arbeitet wieder. Der Alltag ist, wie er früher war. Und doch ist nichts wie früher. Ich habe es immer so genossen, wenn sie auf mich zu kam, mich anfasste, berührte, mir signalisierte, dass ich ein begehrenswerter Mann für sie war. Davon ist nichts mehr da. Anscheinend hat sie keine Lust mehr auf mich. Ist das die Folge der Therapie? Sind es die Hormone? Ich weiß es nicht! Und ich komme mir fast pervers vor mit meinem Wunsch nach Nähe, mit meinem Wunsch, mit ihr zu schlafen. Sie sah gestern so gut aus. Früher hätte ich ihr einfach gezeigt, dass ich sie begehre. Gestern bin ich wortlos raus gegangen. Ich hätte eine Abfuhr nicht ertragen. Ich bin wütend auf mich selbst und eigentlich auch auf sie. Der Gedanke, dass es so bleiben wird wie jetzt, bringt mich zur Verzweiflung.“
„Es ist passiert, endlich haben wir wieder mit einander geschlafen. Und es war schön! Ich hatte keine Angst, vielleicht weil ich was getrunken hatte. Fühlte mich trotz fehlender Brust sexy und habe es genossen. Der Tag danach war komisch, als hätten wir etwas Verbotenes getan. Ob er es so schön fand wie früher? Vielleicht tat ich ihm ja leid? Und das will ich auf keinen Fall.“
14. Juni
„Wir haben zusammen geschlafen, wir haben uns geliebt. Es war und ist wie eine Befreiung. Nach der Geburtstagsfeier eines Freundes. Wir hatten beide was getrunken, haben rum gealbert. Im Bett hat sie sich an mich geschmiegt, ich habe sie gestreichelt. Sie hat überrascht meine Erektion bemerkt, einen Scherz gemacht, mich gestreichelt. Ich spürte ihre Lust. Es war unglaublich, so nah, so intensiv, so lustvoll, so schön. Ich habe ihr gesagt, wie sehr ich das vermisst habe. Sie sagte, sie auch. Dass verwirrt mich …“
„Ich weiß nicht, ob ich mich je daran gewöhnen kann, dass die Brust fehlt. Rein äußerlich merkt man nichts. Die Prothese gaukelt Wirklichkeit vor. Habe oft Angst, dass sie gerade im falschen Moment verrutscht. In meinem Inneren bin ich nach wie vor verunsichert. Er sagt mir manchmal, dass es kein Problem für ihn sei. Aber kann ich ihm wirklich glauben? Sagt er das vielleicht, um mich zu schonen? Fühle mich manchmal so undankbar. Ich lebe doch! Das ist ein Geschenk. Und dennoch vermisse ich so viel aus meinem früheren Leben, auch die unbeschwerte Lust, die wir mal hatten.“
21. Juli
„Ich weiß es jetzt, ihre fehlende Brust ist kein Problem für mich. Sie ist so attraktiv für mich, wie sie es immer war. Am Anfang war ich ja selbst unsicher. Aber nun ist es klar für mich. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden, mit den Folgen der Operation, mit der fehlenden Brust umzugehen. Ich habe ja die Erfahrung gemacht, dass ich Zärtlichkeit und Sex mit ihr noch immer genieße. Wenn sie es mir doch glauben würde. Sie ist wieder so zurückgezogen. Letztlich weiß ich nicht mal oder immer noch nicht, was sie genau vermisst, braucht oder will.“
In diesen Tagebuchauszügen wird deutlich, dass beide, sowohl die betroffene Frau als auch ihr Partner, Ängste haben und zutiefst verunsichert sind. Beide sind in dieser Krisensituation hoch sensibel und sehr verletzlich. Beide versuchen sich vor Enttäuschung und Zurückweisung zu schützen. Zu diesem Schutz gehört es auch, eigene Impulse, Gedanken, Wünsche nicht offen auszusprechen, sondern nur vage anzudeuten oder ganz zu verschweigen. Vor dem hintergrund der angesprochenen großen Empfindsamkeit kann jede Äußerung oder nichtäußerung des Gegenübers wiederum als Desinteresse oder Zurückweisung gedeutet und als Enttäuschung empfunden werden.
Die Frau lebt in der Angst, nicht mehr begehrenswert zu sein, und verbirgt sich. Der Mann wiederum nimmt dies als Zeichen, dass sie ihn nicht will, dass er sie nicht begehren darf. Hier zeigt sich ein Teufelskreis, der eine eigene Dynamik entwickelt und das Paar immer weiter auseinander zu treiben droht. Das Verrückte ist, dass beide Partner im Grunde aufeinander bezogen ähnliche Wünsche haben: Sie will begehrt werden. Er will begehren. Aber beide trauen sich in dieser veränderten, neuen, unsicheren Situation weder, dies offen anzusprechen, noch es zu leben.
Es ist gerade die vermeintliche Rücksichtnahme auf die vermutete Reaktion des Partners, die eine offene Kommunikation erheblich stört und die Situation immer schwieriger werden lässt. Im exemplarisch dargestellten Fall wäre möglicherweise das Dilemma, in dem sich beide befinden, lösbar, wenn nur einer der beiden Partner den Mut fände, seine Gefühle und Gedanken offen auszusprechen, ihnen Worte zu schenken. „Mut“, so formuliert es Martin Walser, „gibt es eigentlich gar nicht. Mut entsteht im Gehen. Man muss immer nur den nächsten Schritt tun. Mehr als den nächsten Schritt kann man gar nicht tun. …
Es besteht nicht nur die Gefahr, dass man zu viel riskiert, sondern es besteht auch die Gefahr, dass man zu wenig riskiert. Den Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“ Mit diesem Artikel wollen wir Betroffene – das sind sowohl die an Krebs erkrankten Frauen als auch ihre Partner – ermutigen, ihre Gefühle, Gedanken und Wünsche nicht wie ein verborgenes Geheimnis zu hüten und bei sich zu behalten, sondern einander „mutig“ an der je eigenen Innenwelt teilhaben zu lassen. Vielleicht kann so ein Weg entstehen, auf dem die Beteiligten es wagen, miteinander ins Gespräch zu kommn, einander in ihrenReaktionen ernst zu nehmen und dem Irrgarten des Zweifels zu entkommen. Mit jedem Schritt, den Paare in Richtung Vertrauen und Offenheit gehen, können sie einander die Chance schenken, sich neu zu begegnen, vielleicht sogar neu zu entdecken und gemeinsam(e) Lust zu (er)leben.
Quelle: Dr. phil. Sylvia Brathuhn, Thorsten Adelt, Perspektive 02/2010, S.4-7